Chiptuning führt zu Kolbenbruch

Der Kundenmotor klappert und hat auf einem Zylinder keine Kompression mehr. Schon nach dem ersten Blick unter die Motorhaube verdichten sich für den Experten die Hinweise auf Motortuning – mit katastrophalen Folgen.

Unser aktueller Fall zeigt einmal mehr, wie ein vermeintlich günstiges Chiptuning zum Totalschaden für den Fahrzeughalter wurde, da Serienkomponenten einer deutlich höheren Belastung ausgesetzt wurden. In der Werkstatthalle des GMI-Fachbetriebs Motoreninstandsetzung Streit in Lennestadt steht ein VW EOS Modelljahr 2008 – der Wagen läuft nur noch auf drei Zylindern, hat viel Diesel im Öl und klappert schon im Leerlauf erschreckend laut. Unter der Motorhaube finden die Motorenspezialisten einen ölgetränkten Sportluftfilter der Marke K&N. „Passt zum Schadensbild“, sagt Stefan Streit, Geschäftsführer von Motoreninstandsetzung Streit, nach der Demontage des Zylinderkopfes.

Die Diagnose

Mit abgenommenem Kopf wird der Schaden ersichtlich: Der dritte Kolben ist komplett gebrochen! „Wir sehen hier einen klassischen Überlastungsschaden durch Chiptuning unter Verwendung der Serienkomponenten“, so Streit. „Einen Defekt an der Einspritzanlage können wir nach unseren Tests ausschließen, auch zeigen die Kolben keine Anzeichen von nachtropfenden Injektoren oder durchgebrannte Kolbenböden.“

Wir haben nachgeforscht und finden für den Zweiliter-Vierzylinder TDI, EA 198 mit 140 PS und 320 Nm, Motorcode CBAB, sofort unzählige Angebote, die für wenige hundert Euro mit scheinbar ungeheuren Leistungsversprechen werden: „+ 44 PS (32kW), + 85 Nm, bis zu 15 % Spritersparnis, 419 €“ lautet das Marketingversprechen eines Anbieters. Viele Angebote liegen in ähnlichen Regionen und lassen vermuten, dass eine Mehrleistung von 40 PS ohne Probleme machbar sei. Stefan Streit: „Man sollte sich bei solchen Angeboten immer ins Gedächtnis rufen, dass jeder Verbrennungsmotor thermisch mehr leisten kann, als er mechanisch verträgt. Und wir sehen hier ein sehr schönes Resultat dieser Gleichung.“ Daher sollte man nach seinen Worten stets die Verhältnismäßigkeit im Blick haben. 32 Prozent an Mehrleistung stecke kein Motor mit Serienkomponenten weg, vom Erlöschen der Betriebserlaubnis ganz zu schweigen, so der Motorenexperte.

Warum bricht ein Kolben?

Wenn ein Kolben auf Grund von Tuningmaßnahmen versagt, gibt es viele verschiedene Gründe. Häufig ist es die thermische Überlastung, die Kolbenböden schmelzen und Feuerstege brechen lässt. Bricht ein Kolben, wie in unserem Beispiel, auf Grund mechanischer Überlastung, war er der dauerhaft größeren Flächenbelastung nicht gewachsen. Der Riss im Kolben geht dabei entgegen der ersten Vermutung, die sich angesichts des Fehlerbildes bietet, nicht von oben, sondern von unten aus: Der Verbrennungsdruck lastet gleichmäßig auf der gesamten Kolbenoberfläche und treibt diesen nach unten. Aufnehmen muss diese Kraft das Kolbenbolzenauge, das die Kraft über den Bolzen an die Pleuel und damit schlussendlich die Kurbelwelle weitergibt.

Erhöht man nun die Flächenbelastung durch höheren Ladedruck und/oder höhere Einspritzmengen, steigert sich auch die Kraft, die das Bolzenauge aufnehmen muss. Die höchste Kraft wirkt dabei folgerichtig in der senkrechten, was zunächst kleine Mikrorisse oberhalb des Kolbenbolzens verursacht. Mit der Zeit und der anhaltenden Überbelastung wird daraus ein handfester Riss, der zumeist plötzlich und auf einen Schlag den gesamten Kolben spaltet. Dadurch, dass der Riss nur den oberen Teil des Kolbens betrifft, der zudem nach oben leicht zuläuft um die thermische Ausdehnung im warmen Zustand zu kompensieren, sieht es im kalten Zustand so aus, als wäre der Bruch von oben bis hinunter zum Kolbenbolzen gelaufen.

Gleiche Ersatzteile bedeuten nicht gleiche Serienteile

„Nur weil im Ersatzteilkatalog das gleiche Teil für verschiedene Varianten gelistet wird, bedeutet dies nicht, dass auch in der Serie gleiche Teile zum Einsatz kommen“, weiß der Instandsetzungsspezialist. „Wir kennen diese Maschinen in- und auswendig, bei den kleinsten Varianten eines Motors sind oftmals nur einfache Gusskolben verbaut. Bei höher motorisierten Varianten kommen verstärkte Kolben zum Einsatz. Im Austauschfall gibt es aus Lagerhaltungsgründen oftmals nur ein Ersatzteil, das alle Anforderungen erfüllt. Das spart dem Anbieter schlicht Lagerhaltungskosten und schließt die Gefahr des Vertauschens aus“, so Stefan Streit. Zudem verfügen leistungsstärkere Varianten ab Werk meist auch über weitere Maßnahmen, um der höheren Leistung widerstehen zu können. So senkt eine Kolbenbodenkühlung die Temperaturbelastung der Kolben, während Kolbenbolzenaugenlager, eingegossene Ringträger und spezielle Beschichtungen den Druck auf die besonders belasteten Stellen des Kolbens senken.

Im konkreten Bespiel gibt es eine stärkere Motorisierung mit 170 PS auf Basis desselben Aggregats, die jedoch nicht im EOS angeboten wurde, sondern ausschließlich im Golf GTD. Der Ersatzteilkatalog von Volkswagen nennt prompt einen größeren Turbolader, einen größeren Ladeluftkühler und andere Injektoren sowie eine leistungsfähigere Wasserpumpe, um die Mehrleistung abführen zu können. Welche Änderungen noch hinter weiteren Teilenummern wie den Lagerschalen der Kurbelwelle oder den Pleueln stattfinden, lässt sich von außen kaum beurteilen. Jedoch deuten schon die offensichtlichen Änderungen darauf hin, dass sich die 40 PS Mehrleistung nicht ohne umfangreiche Änderungen am Aggregat erreichen lassen – zumindest, wenn die Lebensdauer nicht drastisch reduziert werden soll. Denn höhere Belastung durch Mehrleistung führt bei gleichen Komponenten zwangsläufig zu einer reduzierten Lebensdauer. 

„Ein Chiptuning in dieser Größenordnung durchzuführen, ohne den Unterbau anzufassen, ist fahrlässig. Viele Chiptuner sprechen oft von großen Leistungsreserven und verweisen auf andere Motorisierungen auf Basis des gleichen Rumpfmotors, ohne zu wissen, welche Maßnahmen der Hersteller getroffen hat, um die Mehrleistung zu kompensieren“, so der Servicetechniker von Motorservice. „Auch wir bei Motorservice legen aus Lagerhaltungs- und Wirtschaftlichkeitsgründen Teilenummern zusammen, sofern die Parameter passen. Nur von einem Ersatzteilkatalog darauf zu schließen, dass in zwei Motoren im Werk der gleiche Kolben verbaut wurde, ist zu kurz gedacht.“

Quelle: AMZ

ATEV Presse

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